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Der, der die Seelenruhe sucht, komme herbey! Wir wollen Dich mit der Welt aussöhnen; wir wollen Dich zur Glückseligkeit führen, wollen Dich die grosse Kunst lehren, aus allen Gegenständen der Welt, aus allen Vorfallenheiten des Lebens Vergnügen zu schöpfen. Die Gegenstände, welche Dich umgeben, und die Ursach Deines bisherigen Mißvergnügens sind, sollen ihre Häßlichkeit verlieren: dieses Häßliche soll Dir angenehm, das Kleine Groß, und mancher Gegenstand Deiner Abneigung begehrungswerth werden.

Weißheit ist der einzige Weg zum Vergnügen, zur Seelenruhe, zur Glückseligkeit. Komm' herbey! Wir wollen Dich - Weißheit lehren.

Wenn Du ein weiser Mann seyn willst, so mußt Du wissen, daß zwar die Menschen alles Zweck nennen, worauf ihre Begierden und Anstalten gerichtet sind; daß es aber dieser Zwecke unendliche, in gleicher Zahl mit unsern Wünschen und Begieren gebe: daß diese eben darum sich sehr häufig widersprechen, und unmöglich alle zugleich können erreicht werden: daß folglich nicht alle gleich gut und rechtmäßig, daß einige darunter höher, andre niedriger, einige enger, einige allgemeiner seyen: daß, um die Güte und den Werth der Zwecke zu bestimmen, es einen höchsten, allgemeinsten geben müsse, wozu alle übrigen, hohe und niedrige Zwecke, entweder sich bloß als Mittel, oder wohl gar, als Hindernisse verhalten: daß sodann diese eingeschränkten Zwecke aufhören, Zwecke zu heissen: daß sich die wahre Weißheit des Menschen, um diese letzten, allgemeinsten, und um die Unterordnung der übrigen allein zu bekümmern habe. Daß endlich unsre wahre Weißheit und Klugheit darin bestehe, eine Menge uns bisher sehr wichtiger Zwecke, als blosse Mittel zu betrachten; uns sich mit diesem, auf einmal unser ganzes Begehrungsvermögen, unser Urtheil über den Werth der Gegenstände ausser Uns, und folglich alle bisherigen Ursachen von Vergnügen und Mißvergnügen dergestalt abändern, daß das Letztere sich vermindern, und das Erstere in überwiegender Menge vermehren muß.

Unser Gesichtspunkt und Standort allein ist also die Quelle Unsers mindern oder grössern Vergnügens und Zufriedenheit. Von diesen hängt unsre Seelenruh und Glückseligkeit ab. Mit solchem erweitert oder vermindert sich auch diese. Niemand als solcher Weiser allein kann bestimmen, was in der Welt wirklich groß oder klein, gerecht oder ungerecht, gut oder bös, häßlich oder schön, wahr oder falsch, begehrungswerth oder verabscheuungswürdig sey. Wer die Unterordnung der Zwecke, wodurch alle, bloß als Mittel zu einem Einzigen werden, nicht versteht, dessen Urtheile sind schief, dessen Begierden thörigt, seine Entwürfe eitel und schwankend, seine Klugheit unsicher und er läuft Gefahr, dem Uebel eben dadurch in die Hände zu fallen, daß er ihm entgehen will. Seine Rettungsmittel sind Untergang, und sein vermeinter Untergang ist Mittel zu seiner Rettung. So, wie jeder, der nichts Schöners und Grösseres gesehen hat, die Schöne seines Dorfes für eine Venus und den seine Gegend durchströmenden Fluß oder Bach für ein Meer hält; ebenso tragen all unsre Urtheile über die Welt und ihre Theile das sichtbare Gepräge unserer Trägheit im Denken, unsrer Unwissenheit und Kurzsichtigkeit.

Dieser höchste und beste Zweck allein ist der Standort, wo der Mensch sich hinstellt und von daraus die Welt überschauet. Dieser Standort ist derjenige, welcher Dir auf einmal deine bisherige Riesen in Zwerge umschafft, die bisher unangenehmen Gegenstände, in einer andern bessern Eigenschaft und Beziehung darstellt; Deine Erkenntniß und folglich dein Begehrungsvermögen abändert; das Böse gut, und das Gute bös macht; dem Häßlichen seine Maske abnimmt, das Vergnügen vervielfältigt und diese, dir bisher so geschäftige Welt in ein Elysium umschafft.

Du hast bis jezt durch ein gefärbtes Glas geschauet, hast nach Seifenblasen gehaschet, hast den Hügel, worauf die Kirche deines Dorfes steht, für den grössesten Berg in der Welt gehalten, weil dieser dein höchster Gesichtspunkt war, weil du am unrechten Orte standest. Nun stehe hier, auf den Ort her, wo Wir stehen, und schau von Neuem in die Welt hinaus - und erstaune! Eine andre, neue, herlichere Welt! - Dein Vaterland erscheint, als ein Sandkorn, Europa, als der Hügel eines Maulwurfs; unsre grosse, welterschütternde europäische Angelegenheiten und Geschäftigkeit der Menschen, sinken bis zur AmeisenRepublik und Geschäftigkeit herunter; verlieren sich fast gänzlich in der ungeheuren Kette des Weltalls, wie ein Tropfen Wasser im WeltMeere. Siehe nunmehr deine Qual in Freude, das Grosse ins Kleine Unmerkbare, und deine Hölle in einen Himmel verwandelt. Dieses Kleine, beynah unmerkbare Grosse war es also, das dir Sorgen und Unruh brächte? welches deine ganze Seele an sich zog? Dieses Kleine, und sollt' es auch der Ameisenhaufen Europa seyn, konnte dich bewegen Zwietracht unter Deinesgleichen zu verbreiten? Tobende Wuth und Sturm in deiner Seele erwecken, und die so himmlische Heiterkeit entziehen? Elender Mensch! wie klein ist das, worüber Du Dich ärgerst! und wie groß, wie unendlich ist das, dagegen Du gleichgültig und sorgenlos bist? - Steige also, wenn Du kannst, höher und höher zu Uns herauf. Dieses Heraufsteigen, dieses Verallgemeinern deines Gesichtspunktes, ist der Berg, oder die grosse Leiter zum Vergnügen, auf welcher der Auserwählte sich schon hienieden zur Gottheit, zur Glückseligkeit aufschwingt, weil er mit jeder höhern Stuffe, von seiner wachsenden Höhe herab, unten in der Tiefe, ein immer mehr ihm vorher unbekanntes Land der Freude und des Vergnügens entdeckt. Das, was Unten zu häßlich, zu unschicklich schien, erhält erst von dieser Höhe sein gehöriges Verhältniß und Ebenmaß; und wenn dann in diesem hinauf- und Höhersteigen, endlich die Sonne selbst als ein Funke erscheinen wird, was soll erst sodann aus dir, aus deinen Wünschen und Begierden werden? O, dann schäme Dich Deines Stolzes, Deiner eingebildeten Hoheit und Grösse! Aber, da sitzest Du schon Lebenslang da Unten, und glaubtest in der Höhe zu seyn: schimpftest auf alles, was da Unten vorbeygeht: bist zu träg, dich loszumachen, zu erheben. Schimpfest auch auf Uns, elender Schmäher! daß Wir da Oben, von der Spitze des Thurms, wo du dich niemals hinauf gewagt hast, dir die herlichste Aussicht in ein schöneres Land verkündigen: nennst Uns darüber Thoren und Schwärmer: lachst über Unsre Einfallt und Unerfahrenheit, daß wir in stillen Zimmer, bey der nächtlichen Lampe ausgebrütete Träume, der Welt als Wahrheiten verkaufen, und die Leiden und Unglücksfälle der Menschen durch eine überspannte Einbildungskraft vermindern. - Erwache aus deinem Schlummer, sporne dich an, erhebe dich zu uns; oder, wenn du das nicht willst. so höre wenigstens auf, auf die Welt zu schmähen. Sie ist Gottes Werk, und wer dieses, tadelt und lästert, der tadelt und lästert seinen und Deinen Urheber. Du siehst die Welt freylich nicht, wie sie ist, sondern wie man sie von deinem Standorte, durch das von deinen Wünschen gefärbte Glas sehen kann; und dieser Standort ist dir zu lieb, als daß du ihn verlassen wolltest. Strenge dich aber doch an; und wir wollen dir das Land zeigen, wo die Häßlichkeit zur Schönheit wird und anscheinende Unordnung zur regelmässigsten Uebereinstimmung.

- Wir wollen dir zeigen, daß du, deine Familie, deine Vaterstadt, dein Vaterland, selbst diese Erde, nur Stuffen und Sehröhre sind, durch welche man in die Welt, und die Stadt Gottes schauet. Wir wollen dir sogar zeigen daß du und dein ganzes Geschlecht, selbst nur weiter untergeordnete Mittel eines höhern Zweckes seyen. Daß du, der du unverschämt genug bist, dich zm Zweck der Schöpfung zu machen, daß du und das ganze Menschengeschlecht, eben so gut, als das Niedrigste, nicht Zweck, sondern nichts weiter, als ein Theil der unerschöpflich reichen Natur seyen, wie Du und deine Familie ein untergeordneter Theil der bürgerlichen Gesellschaft sind.

Alles in der Welt ist Standort; und nach diesem Standort richten sich Kopf und Herz der Menschen, in Freuden, so wie im Leiden. Die Freude wohnet Oben in den höhern Gegenden, die Leiden sinken von da herunter in die mittlern und untersten Gegenden. Und doch, da alles Standort ist, kann nur ein Einziger der wahre seyn, aus welchem man alle Gegenstände und an ihren wahren Orten überschauen kann. Nicht zu nah und nicht zu fern, nicht zu hoch und nicht zu niedrig, das alles modificirt unsre Glückseligkeit und Urtheile über Gegenstände so ausser uns sind, und auf uns wirken.

Du kleine, unansehnliche Milbe! Die ich zernichten könnte - Auch du bist also eines meiner Mitwesen in der grossen Leiter und Stuffenfolge der Natur? Wesen meiner Art sagten mir, du seyst klein, schwach und unbedeutend; denn du lieferst und gewinnst keine Schlachten, belagerst keine Städte, schreibst nicht kleine Sachen in grosse Folianten; verstehst nicht die Kunst, die Hände von Millionen als Mittel deiner Lust zu gebrauchen, deine Nachbarn klein, und dich auf ihre Unkosten groß zu machen. Darum nannten sie, und ich mit ihnen, dich klein, schwach und unbedeutend. Ich soll also ebenso gut Werkzeug und Mittel seyn, als du es bist? Ich der König der Natur! Wegen dem alles ist! - Aber, du wärest nicht hier, wenn du das nicht wärest. Wir halten dich für klein, weil wir dich gegen uns vergleichen; deine Gestalt häßlich, und deine Kräfte eingeschränkt, weil sie nicht die unsrigen sind. - Aber, war ich denn jemals Wurm, um zu wissen, was in, und mit Dir vorgeht? So, wie du und alles, was Mensch und nicht Mensch ist, von dem, was in dem Andern vorgeht, keine unmittelbare Erfahrung hat: sich nicht vorstellen kann, welche Kräfte und Fähigkeiten in dieser oder jener Configuration verborgen sind. Diese Verschiedenheit deiner Gestalt von der Meinigen bewirkt zwar, daß dieses, was in dir vorgeht, nicht auch zugleich in dem Menschen vorgehe; aber, daß in dir darum nicht vielleicht noch etwas Besseres vorgehe, das beweiset sie nicht. Vielleicht ist es Vorzug, eine Milbe, vielleicht gar Erniedrigung, ein Mensch zu seyn, wenn es möglich wäre, daß in dieser Schöpfung irgend ein Stand erniedrigen könnte.

Oder woher weiß denn der Mensch, daß er besser, als alle übrigen Wesen sey? Weil er sich näher, als alle andre kennt? Aber, was hindert sodann andre, in meinen Augen geringere Wesen, einen ähnlichen Schluß für ihre Wichtigkeit zu machen? Seit wann ist die Unvermögenheit, uns in die Lage Andrer zu denken, ein Beweis unsers Vorzugs? Ist denn das eine allgemein ausgemachte und erwiesene Wahrheit, daß Menschen die Ersten aller Wesen sind? Wo sind die Beweise, die nur für uns allein, und nicht auch zugleich für andre beweisen? - Genug, daß uns dieses Urtheil schmeichelt, daß es, wo nicht die Wahrheit, doch unsern Stolz, unsre Wünsche und Eitelkeit ausdrückt: daß die Logic und Philosophie des grossen Haufen, Schmeicheley und Lügen gegen uns selbst, und darauf gebaute und daraus gefolgerte Schlüsse enthalten. - Aber, nicht so denkt der Weise. Er, der allein wahr und richtig urtheilt, bestimmt den Werth jedes Dinges, nicht nach der Beziehung welches es auf thörigte Wünsche hat, sondern nach der Beytragsfähigkeit, nach dem Abzwecken zur Universalmassa der Seligkeit aller Wesen, zur Offenbarung der Grösse seines Urhebers: er findet, daß alles, alles lebende Signatur und Gepräge der Gottheit sey. Wir sind es, du bist es, und das geringst Insekt, und der kleinste Staub, sind es ebenfalls. Versündige dich nicht daran, verrücke nichts von seinem Platze; oder zerstöre und verrücke immerhin; denn, wo du es auch hinsetzen wirst, so steht es allezeit an der Stelle, die ihm die Vorsicht und Einrichtung der Welt angewiesen hat.

Doch so weit sollte heute unser Unterricht nicht reichen: diese Stunde ist noch nicht gekommen für dich; laß uns vielmehr wieder in niedrige Gegenden herabsteigen; auf der Erde verweilen, und den Gang der Weltbegebenheiten beobachten. -

"Wohin will das alles? - Wohin arbeitet die Natur? - Wohin arbeiten alle Bedürfnisse, alle Betriebsamkeit der Menschen? - Hängt das Gegenwärtige mit dem Vergangenen, beyde mit der Zukunft zusammen? - Drängen sich alle Weltbegebenheiten auf einen gemeinschaftlichen Punkt? Oder sind solches isolirte Facta? - Wenn alles Entwicklung ist, nach welchen Gesetzen entwickelt sich die Natur?" - -

Untersuche das Vergangene, vergleiche damit das Gegenwärtige, und du wirst die Zukunft finden.

Mache das Vergangne zur Zukunft; stelle dich an, als ob das alles noch nicht geschehen wäre, erst geschehen solte. Denke was nach diesen von der Geschichte überlieferten, vorhergehenden und gleichzeitigen Umständen geschehen müßte; und du verstehst die grosse Kunst, ein Prophet des Vergangenen zu seyn; und um ein Prophet für die Zukunft zu werden, muß diese Uebung vorausgehn. Durch solche, durch die Geschichte, durch das, was wirklich geschieht, bilden sich die Seher. Denke Dir aber anbey, daß in der Welt nichts ohne Ursach und Vorbereitung geschehe, daß alles darin blosse Entwicklung einer primitiven, von Gott gegebenen Anlage sey: daß in dieser ersten Weltbegebenheit, in dieser ersten Entwicklung der Kräfte, der Grund sey, warum unter so vielen andern möglichen, nur diese Folge sichtbar geworden: daß der Dritte und Vierte, so wie alle übrigen, folgende, vergangene, gegenwärtige, und künftige Begebenheiten eben so sehr wesentliche Folgen dieser ersten Anlage seyen: daß sich mit einer andern primitiven Anlage die ganze Succession der Welt und ihrer Theile würde geändert haben; daß also in diesem einzigen ersten Datum der Grund der ganzen spätesten Zukunft mittelbar oder unmittelbar enthalten sey: daß alles, mit allem Gleichzeitigen, Folgenden und Vorhergehenden auf das genaueste zusammen hänge: daß es keine kleine, noch viel weniger grosse isolirte Facta gebe: daß der unendliche Reichthum und Vorrath der Natur ihr nicht gestatte, sich bloß unter anderm Nahmen zu wiederholen: daß ihr sicherer Gang, vom Kleinsten bis zum Minder Kleinsten, durch unendliche Abstuffungen zum Grössern, ohne allen Sprung fortschreite: daß jeder ihrer vorhergehenden Zustände, eben darum, so zu sagen, Vorübung sey, um wieder einen nächsten bessern hervorzubringen: daß bey ihr durchgehende in der unendlichsten Mannigfaltigkeit, die erstaunlichste Einheit herrsche. Nach diesen Grundsätzen, deren Bestätigung jeder unbefangene Beobachter in der Natur selbst findet, wirst du folglich merken, daß unsre Befürfnisse das grosse Triebrad sind, wodurch Gott und die Natur, uns und alle Wesen in Bewegung setzet und erhält: daß, da jeder Schmerz und jedes Mißvergnügen selbst Bedürfnisse sind, solche Wohlthat Gottes und der Natur seyen: daß wir ohne solche elend, und auch zum Vergnügen gänzlich unfähig wären: daß wir durch sie allein zur Thätigkeit und Entwickelung unsrer Geistes-Kräfte gereitzet werden: daß wir eben deßwegen glücklicher und vollkommener als Thiere sind, weil wir häufigere, nicht so leicht unmittelbar, sondern künstlichere, durch entferntere Anstallten zu befriedigende Bedürfnisse haben: daß wir dadurch allein gereitzt werden, auch auf die Zukunft zu denken, Entwürfe zu machen und durch die Beschäftigung des Geistes, welche wir dadurch erhalten, selbst in den himmlischsten Wesen ausser uns, etwas finden, sondern sie auch als Mittel zur Geistes Vollkommenheit, zur Würdigung unsrer höhern und feinern Natur zu betrachten.

Du wirst also finden, daß den Menschen zu ihrer Glückseligkeit allezeit etwas mangeln und fehlen müsse: daß unsre Endlichkeit selbst Vollkommenheit sey, weil sie zur Vollkommenheit führet: Du wirst finden, daß diese Bedürfnisse beym Entstehen des Menschengeschlechts nicht so häufig gewesen, und solches eben darum damals ungleich unvollkommner seyn mußte: daß das Unangenehme eines jeden Bedürfnisses den Erfindungsgeist rege gemacht, Stoff zur Uebung und Entwickelung der Geisteskraft geworden: daß mit jeder Erfindung der Mittel das Menschengeschlecht nothwendig ein Besserseyn erhalten habe: daß aber jedes befriedigte Bedürfniß, durch die unglaubliche Thätigkeit unsers Geistes, sogleich wieder ein neues, weiteres erwecke, welches durch eine anderweitige Erfindung wieder befriedigt wird, um ein neues abermals zu befriedigendes zu veranlassen: daß also die Geschichte des menschlichen Geschlechts, die Geschichte der stuffenweise auseinander entsprungenen Bedürfnisse, der dadurch veranlassten Erfindungen, und der damit wesentlich verbundenen unaufhörlich wachsenden Vollkommenheit des ganzen menschlichen Geschlechts sey. Du mußt also auch finden, daß es eine leicht zu erweisende Thatsache, auch ein Mangel aller Geschichte und Nachrichten sey, daß unser Geschlecht von den niedrigsten Stuffen angefangen haben müsse: daß die Erde, in ihrer Jugend, in aüsserster Unvollkommenheit gewesen sey: daß sich diese Unvollkommenheit täglich vermindre, die Natur zum Besserseyn und zur Vollkommenheit arbeite, und daß es unphilosphisch sey, zu glauben, daß die Erde und das Menschengeschlecht keiner weitern Vervollkommnung, ausser der jezigen fähig - daß unmöglich ein Ding, dessen Wesen im beständigen Wachsen besteht, auf Einmal in seinem Fortschritt zum Besserseyn stillstehen, oder wohl gar sich vermindern müsse.

Wenn dann die Welt zum Besserseyn, zur Vollkommenheit, zur Aufklärung arbeitet: so muß der Gott und die Natur zum fürchterlichsten Gegner seines eignen Zwecks haben, der diese Letztre verhindern will. Jede Anstallt von der Art muß sich bloß durch den Lauf der Zeit selbst zerstören; sie hat den Keim ihrer Zerstörung schon bey ihrem ersten Entstehen in sich enthalten. Eine solche Anstalt kann bloß darum in der Welt und Stadt Gottes angetroffen werden, um den Druck, und durch diesen das Bedürfniß, die Anstrengung unsrer Kräfte zum Hinwegschaffen dieses Hindernisses zu veranlassen. Hieraus wird sich leicht zeigen, daß alles, was auf Dummheit, Aberglauben, Finsterniß und blosse Opinion der Menschen sich gründet, dereinst nothwendig aufhören, und klügern und bessern Einrichtungen weichen müsse: daß die bessern Einrichtungen nichts zu fürchten haben; denn Gott und die Natur sind ihnen grosse Bundesgenossen; alle Hindernisse der Welt werden selbst nur Werkzeuge seyn, sie um so feiner, klüger und dauerhafter zu machen.

Das Reich der Wahrheit allein wird ewig, wird unzerstörbar seyn.

Auch wird sich offenbaren, daß jeder noch so grosse Irrthum, selbst < > und Näherrücken zur Wahrheit sey. Daß, so wie alles, eben so auch menschliche Meinungen, von ihrem ersten Ursprung an, einen eigenen Gang nehmen, eine aus der andern entstanden sey, und in der ganzen Stuffenreihe der aus einander entstandenen Meynungen eine gewisse primitive Idee und Veranlassung zum Grunde gelegen habe, welche in allen Arten und Modificationen erschien; und bis auf unsre Zeiten zu unsrer heutigen DenkungsArt geworden: daß jeder Grad der Cultur, und jede mehr oder minder herrschende Volksmeinung ihre, nur ihr allein entsprechende und folglich mit ihr sich ändernde Sitten, Religion und Regierung habe. Noch wunderbarer muß es scheinen, wenn es sich zeigen wird, daß der entferntere Grund von aller National- und Menschen-Aufklärung aller gemeinen Nichtwissenschaftlichen Cultur, in der jedesmaligen grössern oder kleinern Volks und Menschen Anzahl sich gründe: daß sie mit solcher zu, und mit solcher abnehme. Zu allen Zeiten waren Länder, arm an Bewohnern, auch in der Cultur und Aufklärung zuück; haben mit zunehmender Volksmenge, auch an dieser zugenommen, und noch heutzu Tage sind ganze Völker, besonders die Hauptstädte jedes Landes, von dieser Wahrheit redende Beweise. Zunehmende Volksmenge hat den Mangel des Unterhalts hervorgebracht, hat gemacht, daß mehrere nach der nehmlichen Frucht gleiches Bedürfniß fühlten; hat also die Mitwerber erweckt und sie den Stärkern zur Belohnung des Kampfes zu gedacht, und die Schwachen davon ausgeschlossen: hat diese einsehen gelehret, daß Stärke zu Etwas gut sey; in ihnen das Bedürfniß erweckt, gleiche Stärke zu haben; hat sie gelehret, daß zwar jemand stärker als jeder Einzelne, aber doch nicht stärker als alle Uebrigen seyn könne: hat zu diesem Ende Verbindungen, und eben dadurch Gegenverbindungen nebst dem Messen und Werth der Kräfte hervorgebracht: hat den Wunsch erweckt, stärker als alle übrigen zu seyn.

Wenn zunehmende Menschenmenge die Entstehung der menschlichen Gesellschaften hervorgeführt hat; so muß auch alles Weitere, Entferntere, Folge von ihr seyn, was wesentliche Folge von jeder gesellschaftlichen Verbindung ist, die noch dazu selten ohne weitere und grössere Vermehrung der Menschen konnte gedacht werden. Zunehmende Volksmenge hat aus Wilden und Jägern, durch den von ihnen veranlaßten Mangel des Unterhalts, Schäfer und Hirten, aus Hirten Ackersleute, aus Ackersleuten am Ende Bürger, Handelsleute und gesittete Menschen gemacht.

Mehrere Menschen erfordern mehr und grössern Unterhalt: das Bedürfniß des Unterhalts erweckt Indüstrie samt dem ErfindungsGeist und Künsten. Im Gefolge von Indüstrie ist Ueberfluß, und aus Ueberfluß ist Handel entstanden.

Da der Handel nothwendig grosse Reichthümer verschafft, und niemand reich werden kann, ohne daß andre unvermögender und ärmer geworden; so hat der Handel die Ungleichheit der Reichthümer, und mit dieser den Luxus, die Weichlichkeit, die Abhängigkeit, die Venalität, den Verfall der Sitten, die Herrschaft und den Druck von der einen, und die Knechtschaft von der andern Seite hervorgebracht. Diese verursachen die Verminderung und das Auswandern der besten und fleissigen Bewohner: dieses Auswandern das Wachsen eines Nachbars; und endlich dieser abgemessene Zweckmässige Verfall eines Landes nach dem andern macht, daß die gemeine Cultur mit der Volksmenge alle Länder des Erdbodens durchwandre, alle Menschen nach und nach der Wildheit entreißt, ohne daß eben darum die einmahl cultivirten Völker mit ihrem Verfall auch in ihre vorige Wildheit zurückgehen. Alle Begebenheiten, grosse und kleine Vorfälle dieses unsers Erdballs, diese Liebe nach Geld, dieser Hang zur Sinnlichkeit, selbst Despotismuß und Intoleranz, zwecken dahin ab, sind dazu in der grossen Reihe und Kette der Dinge mit eingeflochten, um die noch halb wüste Erde nach und nach zu bevölkern, sie dadurch zur Cultur zu erheben, und Menschen in fremde noch unangebauete Wohnsitze zu treiben.

Die Cultur und Bevölkerung ziehen von Osten nach Westen, durch das gemässigte Clima, weil dieses dem Unterhalt und der Vermehrung der Menschen am zuträglichsten ist. Nur allein dann drängen sie sich gegen die Eisgebürge des Nordens, oder den brennenden Mittag, wenn die gemässigten Zonen die Menschen Zahl nicht weiter fassen, oder wenn Norden und Süden allein diejenigen Weltgegenden sind, welche sich dem Auswandern öfnen.

Cultur und Bevölkerung gingen von Asien nach Griechenland, von da nach Italien, und mit den römischen Waffen und Christenthum nach Gallien und Germanien, und durch Römer und Saracenen in das entfernteste Spanien. Als alle diese Theile samt dem übrigen Norden, zu ansehnlichen blühenden Reichen emporgewachsen waren, so öfnete die Natur dem Wanderungsgeiste der Menschen einen neuen Ausweg, einen neuen ungeheuren Zufluchtsort, und - Amerika ward entdeckt. Um die Menschen in dieses ungeheure, wenig bevölkerte Land, aus ihrem alten Wohnsitze hinüber zu locken, hatte sie es zugleich mit unermeßlichen Schätzen versehen, welche den Geitz und Eigennutz der Menschen bewegen sollten, sich dort niederzulassen und Colonien zu gründen.

Mit den ersten Pflanzern mußte sich die Neigung zum Mutterlande verlieren, mit ihrer Vermehrung muß sich auch das Gefühl von ihrer Kraft vermehren, und die Lust zu weiterer Abhängigkeit vermindern: auch muß ihnen die Unmöglichkeit und Unschicklichkeit einleuchten, ein ungeheures Land, in einer solchen Entfernung, unter einem so verschiedenen Himmel, in ewiger Unterwürfigkeit vom Mutterlande zu erhalten. Eigene Kraft, grosse Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Erfolgs und der so natürliche Trieb und Wunsch des Menschen nach Unabhängigkeit und Freyheit, müssen den muthigen Entschluß hervorbringen, sich vom Mutterlande abzureissen, und nach eigenen Gesetzen zu leben.

Nach dem Gange der Natur steht alle Vermuthung dafür daß dieses Abreissen vielleicht bald geschehe; und so bald dieses kühne Unternehmen seinen vorgesetzten Zweck und Erfolg erreichet haben wird; so wird der durch die stehende Armeen und den sich vermehrenden Luxus und Schwelgerey der Höfe zunehmende, so zu sagen, nothwendig gewordene Druck der arbeitenden Stände, und der Despotismus über bessre edlere Menschen auf der einen, vorhergesehener Vortheil und Liebe zur Freyheit und Unabhängigkeit auf der andern Seite, Heerden von Menschen und mit ihnen die Cultur nach Amerika verpflanzen. Alle Gesetze gegen die Auswandrung werden den Druck und die Begierde, auszuwandern, nur noch vermehren. Die Auswandrung selbst wird mit mehr Einheit geschehen, und das Wechselgeschäft die Hinwegführung des Eigenthums erleichtern. - Der trägere noch gedrücktere amerikanische Süden wird dereinst auch dem Beyspiele der Nordländer folgen, oder ihnen zur Beute werden. Diese werden indessen in das Innere des Landes eindringen, freylich anfangs mit grosser Beschwerde: werden Wälder umhauen: ausrotten, und Sümpfe austrocknen: das Clima mildern: die Erde anbauen, sich auf ihrem zugetheilten Grunde vermehren, bey überhandnehmender Volksmenge, und sich ergebenden Widerstande gegen Süden, Norden und Westen, bis an das Weltmeer vorrücken, dort Handelsplätze anlegen, Japon, China, samt den Inseln und Indien befahren: indessen, das, durch den Verlust von Amerika an Geld, Menschen und Cultur geschwächte Europa sich durch eine gelindere Regierung erhalten muß, oder, um sich schadlos zu halten, seine letzte Kräfte sammelt, nach dem schwachen Asien und Afrika vordrängt, um diese schöne Weltgegenden, diese Wiege des menschlichen Geschlechts, diese wegen uns verfallenen Mutterländer unserer ersten Kenntnisse, zu einer höhern Cultur empfänglich zu machen, und ihnen das, an Erkenntniß und Menschen mit Wucher wieder zurück zugeben, was wir in den vorigen Zeiten durch sie so wohlthätig erhalten haben. Freilich wird dies Letzte niemals der ausdrücklich gedachte Zweck seyn. Die, den Grossen der Erde so natürliche Begierde, sich zu vergrössern, wird veranlassen, daß jeder nach seinem schwächern Nachbarn greift, und so weit voranrückt, als er keinen Widerstand findet: genug, daß es die Folge davon seyn wird, und die Natur sich dieser Eroberungssucht als eines Werkzeuges bedient, um dadurch - die schönern Gegenden der Erde, der Barbarey zu entziehen: gelindere Sitten einzuführen, die Cultur zu erhöhen, und die dagegen streitenden, in der Landesreligion und Despotismus sich gründende Hindernisse zu zerstören. Diese werden anfänglich freylich unterjochte Länder seyn und bleiben, werden sich zu ihrem Nutzen müssen gefallen lassen, daß der Ueberwinder sie nach seinem Vortheil und Absichten behandle, bis sie durch den Lauf der Zeit, durch den Vorschritt der Cultur und Bevölkerung mit ihren wahren Vortheilen bekannter werden; bis diese ihre jezigen Herrn, entweder durch übermässige Grösse, oder durch den Handel Reichthum und Verfall der Sitten in Ohnmacht verfallen, durch überhandnehmende Weichlichkeit zu schwach werden, so entfernte Eroberungen zu behaupten, und aus ihren Trümmern und Ruinen, neue Reiche hervorgehen. Da hätte nun die Cultur ihre erste Reise um die Welt vollendet: hätte alle, durch Meere und Wüsteneyen getrennte Menschen einander nahe gebracht: hätte ihre erste Absicht erfüllt, durch Vermehrung der Menschen die Wildheit von der Erde zu vertreiben: schickte sich sodann zu ihrer zweyten Reise an, um auch noch vollends die zurückgelassene Barbarey und sittliche Wildheit zu vertilgen: bediente sich auch dazu des nämlichen Mittels, durch eine zweyte intensive Vermehrung einen noch höhern Grad der Cultur und Sittlichkeit auf der ganzen Erde zu verbreiten. - Wenn du dieses Datum gehörig verfolgst, so wirst du finden, daß die Menschen dann erst am glücklichsten und aufgeklärtesten seyn werden, wenn die Erde am bevölkertsten seyn wird. Da sodann, aus Mangel der öden freystehenden Plätze, die Auswanderungen aufhören, doch anbey die Vermehrung fortgeht; viele Menschen auf einem kleinen Erdstrich zu wohnen genöthigt sind; so wird grosses Eigenthum einer einzigen Familie in mehrere kleine Antheile und an mehrere Familien verfallen, und um so fleissiger benutzt werden. Dadurch wird es unmöglich werden, daß sich Menschen fernerhin durch Müssiggang und blosses Vorurtheil ernähren. Die Ungleichheit der Reichthümer muß sich nothwendig vermindern; sogar der Werth der vorstellenden Reichen fallen, weil die Veräusserung liegender Gründe unmöglich wird; und mit der Abnahme des Ueberflusses wird selbst auch der Handel aufhören. Mit dieser Ungleichheit der Güter muß aller Grund der Macht und Abhängigkeit sammt all ihren mühseligen Gefolge und Verderbniß der Sitten verschwinden. Da die Menge von Menschen groß, und doch dabey das Erdreich nicht unerschöpflich ist, so kann nicht fernerhin Einer die Arbeit von Zwanzigen verzehren. Mässigkeit Frugalität und Genügsamkeit müssen die allgemeinen Sitten der Menschen werden. Diese bringen Unabhängigkeit, Enthaltsamkeit von dem Eigenthum eines andern, und den allgemeinen Frieden und allgemeine Sittlichkeit zur Welt. Bey mässigem Unterhalte und mässiger Arbeit werden aus Furcht vor Langerweile, die Bedürfnisse des Geistes allgemeiner, dringender und häufiger. Die ganze Erde wird zu einem Garten, und die Natur hat sodann hienieden ihr Tagewerk vollendet; mit der möglichsten Menschenmenge dauerhafte Aufklärung, Frieden und Glückseligkeit herbeygeführet: sie hat jeden Menschen zu seinem Richter, Priester und Könige gesalbt: sie hat den so lange verlachten Roman vom goldenen Zeitalter, diese uralte Lieblingsidee des menschlichen Geschlechts zur Wirklichkeit gebracht, dadurch zur Wirklichkeit gebracht, daß sie diese ewige, von allen Gesetzgebern vergeblich bestrittene, sich immer wieder einschleichende Ungleichheit der Güter, diese Quelle alles Verfalls, aller Staaten, von Knechtschaft, Tiranney, von Zwietracht der Menschen, von Venalität und Corruption der Sitten unmerklich aufgehoben und durch übergrosse Menschenvermehrung alle Zeiten unmöglich gemacht hat.

Wenn nun dieser glückliche Zustand, dieses patriarchalische Leben, eine wesentliche Folge von der höchsten Vermehrung des Menschengeschlechts ist, und wenn anbey durch Sterb- und Geburts-Tabellen ordentlich erwiesen werden kann, daß bey dieser ungeheuren Menge von Cölibaten, bey dieser Verderbniß und Schwächung der Zeugungskraft, bey dieser Intoleranz, diesem Despotismus, bey der noch so häufig, besonders in KinderKrankheiten herrschenden Unerfahrenheit der Aerzte, bey allen Gefahren der See, des Krieges, der Schwelgerey, < > und ansteckenden Krankheiten, in einem Zeitalter, wo Ausschweifung, sich und andre zu Grunde richten, Weltton heißt: wo Schamhaftigkeit, Nüchternheit, Keuschheit und Sittsamkeit mit den Namen von Dummheit, Einfalt und Weltunerfahrenheit gebrandmarket und lächerlich gemacht werden, - wenn unter solchen Umständen, in einem solchen Zeitalter, sich das Menschengeschlecht demungeachtet vermehret; ja sogar die Erfahrung zeigt, daß die durch Krieg oder Pest so sehr entstandene Entvölkerung schnell wieder ersetzt werde, wenn noch überdies bey zunehmender Sittlichkeit und Menschlichkeit, sich die Hindernisse der Bevölkerung täglich vermindern müssen; wenn denn endlich das alles ist, was hindert sodann zu sagen, daß die Natur jetzt schon an diesem Zustande wirklich arbeite, und daß alle ihre Anstalten, gut und böse, als die unfehlbarsten Mittel dahin abzwek-ken? Und wenn noch anbey unläugbar durch die überhandnehmende Volksmenge, aus dem Jäger- der Hirtenstand, aus diesem die Ackersleute, aus diesen wieder die bürgerliche Gesellschaft und proportionirte Cultur entstanden ist, warum soll hier auf einmahl die Natur stillstehen, und mit einer noch ferner wachsenden Menge, aus der bürgerlichen Gesellschaft nicht noch etwas weiteres, einen neuen Zusatnd, eine neue proportinonirte Cultur hervorbringen? Warum, wenn die nämliche Ursach fortwirkt, soll nicht auch die Folge ähnlich seyn? Weil das Erste eine Thatsache ist, so zweifelt niemand daran; weil das Künftige noch nicht geschehen ist, so scheint es uns unmöglich, ob uns gleich das Vergangene dessen belehrt? Einwürfe, welche dieser Bevölkerungslehre entgegenzustehen scheinen, gründen sich hauptsächlich darauf, daß eben diese Bevölkerung einst über alles Maaß, und alle Gränzen anwachsen, und eben dadurch schädlich seyn, und diesen Zweck hindern müßte.

Allein, niemals wird die Bevölkerung zu groß, oder sie steht von selbst still. So, wie der Unterhalt zu mangeln anfiengen, so würden die Ehen von sich selbst seltener werden. Alle Ehen werden auch hier zweckmässiger und vernünftiger bey reiferen Jahren geschlossen. Jeder Hausvater wird die Freyheit seiner Kinder im Heyrathen beschränken, sobald die Früchte seines Eigenthums nicht weiter zureichen: jeder Sohn wird sich um so viel leichter bequemen, als ihm die Unmöglichkeit davon einleuchtend ist. Auch ist nicht zu befürchten, daß diese übergrosse Bevölkerung durch ansteckende Krankheiten, selbst eine Ursach der Entvölkerung werde. Bis dahin wird die Gesundheitslehre nähere, zuverlässigere Grundsätze haben. Arbeitsame, sorgenfreye, mässige, reinliche, in gehöriger Entfernung wohnende Menschen, geniessen der offenen Himmelsluft häufiger, als die in den faulen Ausdünstungen unsrer Städte gepreßte Menschen, in welchen sich vom menschlichen Unglück, und den Quellen unsrer Krankheiten ganze Stände ernähren, welche sich jeder vernünftigen, auf Verlängerung unsers Lebens abzweckenden Einrichtung, nach allen Kräften widersetzen: zu geschweigen, daß sich mit der, zu einem Garten umgeschaffenen Oberfläche der Erde, auch das Clima verändern muß. Freylich, wenn auch das alles so bliebe, wie und was dermalen ist, dann möchte dieser Entwurf mehr Stärke in sich haben. Aber sind denn alle Veränderungen der Welt nur einschichtig? Ist denn nicht vielmehr alles verbunden? Alles durchflochten, in einander geschlungen? Aendert Einen Theil der Welt, welchen Ihr wollt, sogleich ordnen und richten sich alle übrigen darnach: füllen die Lücke, und stellen das verlohrne Gleichgewicht alsobald wieder her. Die Natur kommt der Kurzsichtigkeit der Menschen zu Hülfe; erweckt in dem Moment bey jedem das proportionirte Bedürfnis: und jeder thut sodann durch blossen Instinkt, wozu Vernunft und allgemeine ausdrückliche oder stillschweigende Verbindung zu langsam und zu ohnmächtig seyn würden. - Sorge also nicht, denn die Natur wachet und hat für alles gesorgt. Nicht alles ist unmöglich, dessen Möglichkeit wir nicht einsehen. Zusehr an die heutigen Formen und Einrichtungen gewöhnt, beurtheilen wir alle Zukunft nach solchen: können jezt die Reihe von Bedürfnissen noch nicht verfolgen und vorhersehen, welche dazu vorbereiten, bis wir endlich, nach durchwanderten Mittelstuffen, einst am Ziel stehen, uns sodann wundern, oder, was noch glaublicher ist, es sehr natürlich finden, was wir vorher für eine Unmöglichkeit gehalten haben. Die meisten Menschen sind zu träge, gemächliche Denker; sie wollen bloß sehen und fühlen; und daher nennen sie Traum, Phantasey, Schwärmerey, was nicht zugleich unmittelbarer Gegenstand ihrer Sinne und wirklicher Entstehung ist. Sie wollen bloß fühlen und greifen und sehen - und wer von uns hat Hände, um die Zukunft zu greifen?

Wer also die Welt vermehrt, hat auch eben dadurch das Seinige zum Vorschritt der Cultur, und zur Vollkommenheit und zur Glückseligkeit seines Geschlechts beygetragen. Von dieser Beytragsfähigkeit hat also die Natur kein liebendes Wesen ausgeschlossen. Jeder kann, entweder durch Einsicht und Talente, oder sogar durch den sinnlichsten aller Triebe, die Vernunft herbey führen, und das Wohl der Erde befördern. - O! Welche Hoheit und Würde ist es demnach Vater zu seyn! - Diese unmündigen Kleinen um sich, in ihren Enkeln, und aus seinen Lenden dereinst ein ganzes werdendes Volk, lauter Werkzeuge zur Menschenglückseligkeit hervorgehen zu sehen! noch in seinen Nachkommen zu leben, und zum Wohl der Erde zu leben! - - O ihr alle, die Ihr von unserm Bunde seyd, werdet Väter! Väter guter wohlgeratener Kinder! Oder hindern Euch daran Eure Lage und Umstände: o! so rächt Euch mit Uns an dem Coelibat, an diesem Hochverrat gegen die Natur und menschliche Glückseligkeit. - Begünstigt die Ehen, hindert alles, was diesen entgegenstehet, entheiligt nicht durch übles Beyspiel die Keuschheit und Vollkommenheit des ehelichen Standes; predigt Duldung, hindert die Kriege und entfernet alles, was den Tod herbeyführet und die Zeugungskraft schwächet. - - Zeugungstrieb! Sinnlichster, aber nunmehr edelster aller Triebe! Dich hat das Alterthum nicht verkannt; und in dem Phallus, und in den Mysterien der Isis und Orgien des Bacchus geehret! Und unsre sogenannte aufgeklärte Zeiten haben sich daran gestossen! - Du giebst uns also nicht allein thierisches Leben, in dir liegt auch schon zugleich der Grund zum wahren, zum geistigen Leben des Menschen, zu seiner Glückseligkeit, zur Vollkommenheit seiner Natur! - Du bist das grosse Werkzeug der Natur, und in die liegt der Saamen aller - aller vergangener, gegenwärtiger und künftiger Begebenheiten und Schicksale der Menschen!

Wenigstens zeigt es die Geschichte, diese sicherste Führerin, daß der Bevölkerungszustand eines jeden Landes im genauesten Verhältniß mit seiner Cultur, seinen Sitten und seiner Regierung stehe: sie beweiset sogar, daß die Wildheit herbey geführet worden, wenn die Entvölkerung zu übermässig ward.

Hier stehe still! Und forsche genau. Du wirst diesen Satz in denen, aus der allgemeinen Weltüberschwemmung geretten wenigen Menschen bestätigt finden. Du wirst zugleich finden, daß so sehr erschreckte Menschen sich anfänglich sehr schwach, und sodann auf eine ganz andre Art vermehren: daß der zurückgelassene Schrecken hier eine Ausnahme mache, und die Cultur hier, mit der wachsenden Menge, aller vorherigen Erkenntisse ungeachtet, nicht in gleichem Verhältnisse fortschreite. Du wirst vielmehr finden, daß diese diluvianischen Schrecken auf diese unsre elende zweyten Stammältern so gewaltig gewirkt, eine so eigene schüchterne, leicht zu bewegende, furchtsame, leichtgläubige, abergläubische Gedenkungsart hervorgebracht, daß sie keine andre, als ähnliche Nachkommen hinterlassen konnten, aus deren meisten Gebräuchen und Einrichtungen noch heut zu Tage der alte diluvianische Schrecken, mittelbar oder unmittelbar, als eine Gedächtnißfeyer hervorleuchtet: die bey jedem Sturmwinde zagen: denen schon Jahrtausende hindurch anfangs täglich mit jedem trüben Himmel, mit jeder niedergehenden Sonne; dann mit jeder Lunation, Woche, Monat, endlich mit jedem Jahre, und sodann mit jeder natürlichen oder künstlichen, selbst fingirten zu Ende gehenden Periode und Cyclus vom abermaligen Untergehen und Zerstörung der Erde träumt: welcher Traum endlich nach verschiedenen, durch Mittelbegebenheiten, erhaltenen Modificationen, die Lehre vom tausendjährigen Reiche zur Welt gebracht, welche schon vor dem die Kreuzzüge veranlasset hat; und nun, durch die alte, aus der nämlichen Quelle entsprungene Sage, von der sechs tausend jährigen Dauer der Welt noch mehr bestärkt, dermalen nur schlummert, im Verborgenen fortarbeitet, um sodann wieder mit dem Ende dieses Jahrtausends, nach wiederholten, vorhergehenden Versuchen in voller Stärke um so gewisser hervorzubrechen, als das künftige Tausend, nach der gemeinen Sage und Zeitrechnung, ein Siebentes, hiermit ein Sabbathisches Tausend ist.

Oder stellt man sich dann vor, daß diese erschreckliche Catastrophe, in der Denkungsart dieser wenigen Zerstreueten, an verschiedenen Theilen, und in den Hochländern der Erde geretteten Menschen, gar keine Folge, gar keine Aenderung in ihrer vorigen, vielleicht sehr aufgeklärten Denkungsart gewirket habe? Mußten sie nicht eben dadurch ihre Begriffe von der Gottheit ändern? Oder wohl gar aus dieser Veranlassung die Lehre von dem guten und bösen Principium entstehen? Mit ihr die Neigung entstehen, dieses böse Principium zu besänftigen? Auf Mittel zu denken, sich solchem gefällig zu machen? Mußten nicht lange Zeit die Berge der Aufenthalt und Wohnort der Menschen verbleiben? Unter ihnen Herrschaft, Habsucht, Ungleichheit der Stände verschwinden? Bey Menschen, welche ihren Aufenthalt hiernieden vorübergehend und ungewiß sahen, Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit gegen das Gegenwärtige und Zeitliche erwecken? Mußte nicht das sehr natürliche Verlangen entstehen, gegen ähnliche, künftige Unglücksfälle gesicherter zu leben - Anstallten dagegen zu treffen - zu diesem Ende die Zukunft zu erforschen - Orakel, Propheten - Sybillen sich aufwerfen - Leicht- und Aberglauben sich verbreiten - jede Wiederkehr der Sonne willkommen, jedes Untergehen und Einbrechen der Nacht schrecklicher scheinen? Astrologie, Sabeismus, oder der Dienst der Gestirne entstehen? - Ein solches Menschengeschlecht, mit solchen traurigen Erfahrungen, mit einer solchen daraus entstehenden Denkungsart, konnte es wohl mit dem vorhergehenden eine Aehnlichkeit haben? Mußte solches nicht vielmehr die Grundlage eines ganz eigenen Geschlechts, ganz eigener Einrichtungen, Sitten und Gebräuche werden? Mußte diese primitive Einrichtung nicht auch noch bey ihren spätesten Nachkommen fortdauern, wenn gleich bey ihnen die Nachrichten und Absichten der Entstehung verloren gegangen? Oder ändern sich Sitten und Gebräuche so sehr auf einmal? Zeigt nicht vielmehr die heutige tägliche Erfahrung, daß sich nichts so sehr als Sitten und Gebräuche, wovon der Zweykampf ein redender Beweis ist, unter gewissen Modificationen erhalten? Daß so wie Menschen und Sprachen, ebenso Meynungen Sitten, Staatseinrichtungen und Religionen aus einander entstehen? Welche Colonien haben einen Staat gegründet, wo nicht Einrichtungen grössesten Theils vom Mutterlande geborgt waren? Wie vieles ist noch heut zu Tage in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, gothischen, fränkischen, langobardischen, saracenischen, überhaupt barbarischen Ursprungs? Wie viel ist nicht offenbar Folge vom einmahl eingeführten Lehens System? - Selbst in der Christlichen Kirche, wie viel Gebräuche, obwohl unter andern Erklärungen und Bedeutungen, sind nicht sichtbar vom Heiden und vom Judenthume entlehnet? Selbst unsre Achtung und Vorliebe gegen jüdische Gebräuche und Cosmogonie muß ihren Grund in einer Religion haben, die ganz aus dem Judenthume entstanden. Und in diesem Judenthum, in dieser Mutter der christlichen ältern Religion, wie viel ist nicht, selbst nach der Schrift, egyptischen Ursprungs und Einrichtung, die nothwendige Folge einer noch ältern Einrichtung ist, die sich am Ende in den Folgen der nach der Wasserfluth erneuten Menschen und Denkungsart gründet? Wie sehr, durch ordentliche auseinander Entstehung haben die orientalische Philosophie, Pytagoras und Plato, die Gnosis und Cabbala, die alexandrinische Schule und Aristoteles zusammengewirckt, um das spätere Christenthum mit seinem mystischen und allegorischen Sinn hervor zu bringen? Wie sehr hat jede der verschiedenen christlichen Secten der andern vorgearbeitet, wie sehr ist nicht die Eine aus der Andern entstanden? - freylich geht oft die Bedeutung verlohren: freylich erhält oft ein Gebrauch eine seiner Entstehung gegenseitige Bedeutung, selbst bey dem Volke, bey welchem er entstanden. Aber darum müssen Kunst und Kritic nicht verzweifeln, das Primitive zu finden. - Oder, wenn dir das alles unmöglich scheint, so sage ich nur: woher kommt denn diese so auffallende Uebereinstimmung in Gebräuchen alter und neuer, näherer und der entferntesten Völker? So auffallend ähnlich - daß, um nur ein neueres Beyspiel zu nennen: wegen dieser so sichtbaren Aehnlichkeit der amerikanischen und ihrer eigenen Gebräuche, die Juden glaubten, in Mexiko und Peru die, freylich sehr ausgearteten Nachkommen der, vom Salmanassar in die Assyrische Gefangenschaft geführten, und seither aus dem Andenken der Welt und Geschichte verschwundenen zehn Stämme Israels wieder gefunden zu haben. - Woher also, wenn das Alles nichts wäre, diese sonst unerklärbare und doch erwiesene Uebereinstimmung? - Sollte sie vielleicht ein Beweis einer gemeinschaftlichen Abstammung, oder eines uralten Verbandes zwischen zweyen oder mehrern Völkern seyn? - Aber, so viel auch dieses sonst erklärt, so verliert doch diese Erklärungsart ihre Kraft, wenn die Beweise aus der Geschichte hier gänzlich mangeln, ja so gar oft das Gegentheil erweislich ist; die Sache anbey auf eine andre Art natürlicher, und nach den Voraussetzungen der Geschichte, so und nicht anders muß erkläret werden. Wozu soll dann diese nichts erklärende - den Knoten zerhauende, der biblischen, nirgends von einem andern Volke bestätigten, ja sogar unmöglichen, Noachischen Descendenz zu gefallen erfunden, Erdichtung eines ältern Urlandes, einer gemeinschaftlichen Abstammung aller Nationen der Erde, von einem gemeinschaftlichen Stammvater? - Oder, sollte vielleicht diese Uebereinstimmung die Folge eines ehedem gemeinschaftlich genossenen Unterrichts, oder Lehrers seyn? - Wer war aber alsdann dieser Lehrer? - Gott? oder ein Mensch? Sollte es nicht unphilosophisch sein, sie einem Wunder, einer unmittelbaren Offenbarung Gottes zuzuschreiben, solange noch nicht alle natürlichen Wege versucht worden, diese Aufgabe aufzulösen? Zu geschweigen, daß diese übereinstimmende Gebräuche oft der wahren Religion entgegen, oder nicht wichtig genug sind, um sie als einen Gegenstand einer unmittelbaren göttlichen Offenbarung zu betrachten! - Wenn also dieser Unterricht nicht unmittelbar von Gott wäre? Wäre er sodann eben darum von Menschen? Sind aber Menschen die einzigen Lehrer von Menschen? Ist denn aller Unterricht blosse Ueberlieferung, und Einfall der Menschen? Was gab denn zuerst Gelegenheit auf diesen Einfall, auf diese Lehren zu verfallen? - Mußte dann nur Einer? Konnten nicht mehrere zugleich auf diesen Einfall gerathen, weil sie eine ähnliche, veranlassende Ursach dazu gereizet? - Könnte es also nicht vielmehr, und weit natürlicher, das Resultat einer gemeinschaftlichen Erfahrung und Beobachtung seyn? Einer Beobachtung, die sich auf ein Factum gründet, das nothwendig alle Menschen auf eine gleiche und ähnliche Art afficiren musste? - Könnte also nicht dieses alles mit besserem Grunde, aus einem gewissen Grundfactum abgeleitet werden, welches auch eine gemeinschaftliche Grundidee und Betragen veranlasset, von welchem alle menschliche Meynungen und Gebräuche, nur blosse, den Zeiten und Umständen und der jedesmaligen Stimmung des Zeitalters angemessen, mittel oder unmittelbare Modificationen und Abänderungen wären? Von welchen es historisch und physiologisch erweislich wäre, daß es Menschen so, und nicht anders afficiren - bey ihnen diese, und keine andre Wirkungen hervorbringen mußte, wodurch sie die nähere oder entferntere Quelle dieser übereinstimmenden Gebräuche geworden? - Wäre ein solches stark afficirendes Factum, ein solcher lebhafter, unmittelbarer Unterricht der Natur nicht noch weit wirksamer, als Unterricht der Menschen? Und ist denn am Ende nicht alles menschliche Wissen Folge von Erfahrung? Unterricht der Natur? - Welches andere Factum wäre ein besserer Schlüssel zur alten Weisheit, Theologie, Mythologie, zu den Mysterien, Gebräuchen und Lehren der ältesten Welt, als die, von allen Völkern so allgemein anerkannte, so historisch erwiesene, so sehr durch die Naturgeschichte, auch in Ermangelung aller weitern mündlichen oder schriftlichen Nachrichten, bestättigte Ueberschwemmung der Erde? - Wäre es nicht möglich, das Gepräge dieser Hauptbegebenheit in allen alten Gebräuchen und Lehren der alten Völker sichtbar zu machen? Das Auseinanderentstehen der Gebräuche, Meynungen und Systeme dadurch zu erklären? Zu zeigen, wie stark und verschiedentlich ein einziger lebhafter Eindruck Jahrtausende hindurch, unter verschiedenen Gestalten gewirkt, noch zur Stunde wirkt, so wirkt und noch lange wirken wird, ohne daß wir seines Einflusses bemerken, ja daß sogar die Vermuthung seines Einflusses bey uns Thorheit und Unmöglichkeit scheint? Zu zeigen, daß der wahre Gegenstand der ältern und neuern, und auch der gegenwärtigen Mysterien sey, die Folgen der diluvianischen Schrecken zu vermindern, die Menschen wieder muthig, aufgeklärt zu machen: durch die Entwickelung der veranlassenden Ursachen ihnen Vertrauen auf sich und auf ihre Vernunft zu erwecken? Zu zeigen, daß wir heutige Menschen so denken, so handeln: so denken, so handeln müssen, weil unsre zweyte, vielleicht auch schon dritte, oder zwanzigste Stammältern, durch die Wasser der allgemeinen Erdüberschwemmung so entsetzlich geschreckt wurden? Daß, wenn das Menschengeschlecht sich auf eine andre Art, durch eine minder schreckliche Veranlassung erneuert hätte, seine Nachkommen eine ganz verschiedene, er ersten Grundlage gänzlich angemessene Gedenkungsart, Sitten und Gebräuche würde erhalten haben.

Ein solches Geschlecht konnte sich anfänglich nur sehr langsam vermehren. Sehr spät mußten die Menschen aus ihren Zufluchtsörtern, aus den höhern Gegenden der Erde wieder in die Thäler und Ebenen hinabziehen. Und noch lange mußte es da währen, bis sie sich auf einem gegebenen Erdstrich so übermässig vermehrten, daß endlich der Unterhalt zu mangeln angefangen. Eine solche überhandnehmende Menge mußte Auswanderungen veranlassen. Die Menschen waren genöthigt, in den nahe gelegenen Gegenden eine neue Wohnstätte zu suchen; und hier bemerken, daß unsre Geschichte, die freylich sehr spät anfängt, beynahe keine einzige Auswandrung aufzeigen kann, wo die Auswandernden in ihren neuen Wohnsitzen nicht schon wirklich ältere Bewohner gefunden. - Sollte dieses nicht die Bemerkung bestärken, daß nach der allgemeinen Ueberschwemmung sich in den höhern Gegenden der Erde mehrere Stammältern erhalten, deren Nachkömmlinge unter dem Namen von Erdensöhnen, Landesgebornen, oder Autochtonen bekannt sind?

Wenn aber Menschen diese ihre natürliche Erde verlassen, so werden sie sicher, entweder in dem nächsten leer stehenden Landstrich, oder dort sich niederlassen, wo sie am wenigsten Widerstand erfahren. Dorthin werden sie ihre Sprache, ihre Sitten, ihre schon viel modificirte diluvianische Schrecken verpflanzen: Mit der Sprache, mit den Sitten und Gebräuchen der alten Bewohner nach und nach vereinigen, solche mit eigenen, neu erfundenen Zeichen bezeichnen. Und da in diesen ältesten Zeiten der Zusammenhang der Völker mit andern, und so auch mit ihrem Mutterlande sehr schwachseyn mußte, werden ohne Wunder, ohne Thurmbau zu Babel neue Sprachen entstehen, werden die Nachkommen eines gemeinschaftlichen Stammvaters einander unverständlich werden.

Da weiters alle Länder, in welche sich Colonien verpflanzen, nicht unter einerley Himmelsstrich liegen, fruchtbar oder unfruchtbar, gebirgigte oder flache, dem Einfall anderer mehr oder weniger offenstehende, öde oder bewohnte sind: von selbst Nahrung geben, oder den Fleiß und die Hände der Menschen erwarten: an Früchten, Thieren oder Fischen Ueberfluß oder Mangel haben; auch die Menschen in grösserer oder geringerer Anzahl eingewandert sind: im Einwandern selbst mehr oder minder Hindernisse gefunden haben; sich zu einem oder verschiedenen Stämmen und Völkern bekennen: so wird dieses alles, denen sich zusammenhaltenden Pflanzern auch einen, ihnen nur ganz allein eigenen, von allen Uebrigen unterschieden, Charakter geben. - Die Verschiedenheit der Nationalcharaktere wäre also unläugbar eine wesentliche Folge der überhandnehmenden Volksvermehrung: wäre die Ursach, warum die Einen Räuber und Jäger, die Andern Hirten, und wieder Andre Ackersleute geworden; und selbst in der Einrichtung und Beschaffenheit des neuen Wohnsitzes läge eine Grund mit, warum ein Volk vor dem Andern Vorschritte zur Cultur gemacht; warum einige gänzlich zurückgeblieben: warum andere so gar in eine, den Thieren ähnliche Wildheit nach und nach verfallen sind. Die Cultur mußte gewiß unter einem gesegneten Himmelsstrich, unter einem Volk von Ackersleuten, unter dem Besitz eines Landeigenthums, in einer Gegend, welche zum Verzehr des Ueberflusses einladet ehe, als unter jedem Andern gedeihen. Aber eben darum mußte auch dieses Volk ehe in Weichlichkeit verfallen: sein Ueberfluß, und seine damit verbundene Schwäche mußte angränzende wilde Völker nach diesen mildern Gegenden locken: Einfälle verursachen: die alten geschwächten Bewohner den wildern, noch unverdorben stärkern Nachbarn unterwerfen. Sie mußten verfallen, und durch diese Unterjochung neue Kraft und Stimmung erhalten. Ihr Reichthum und Verfall waren das Mittel, dessen die Natur sich bediente, um Cultur unter die wilde Nachbarn, um neue Stärke in einen entnervten Körper zu bringen; um neue Sitten, Gebräuche, Regierung und Religionen entstehen zu machen, um mehrere Menschen zur Vollkommenheit - ihrer Bestimmung näher zu führen, um Cultur über die übrigen rohen Erdbewohner zu verbreiten.

Liessen sich die neuen Colonien in einem schon wirklich bewohnten Erdstrich nieder, so wurden sie von den vorigen Inwohnern gutwillig aufgenommen, oder sie mußten ihre künftige neue Wohnstätte durch Kampf und Gewaltthätigkeit erringen. Jedes davon hatte seine eignen Folgen, und wirket eine neue Verschiedenheit. Doch das letzte am meisten. In diesem Falle also wurden, entweder die ersten Bewohner gänzlich vertrieben: und so gab es hier eine neue eigene Quelle von Auswandrungen: oder sie wurden von den neuen Ankommenden gänzlich getilgt; oder wurden unterjocht und zu Leibgeignen gemacht: oder endlich behielten auch zum Theil, was ihnen der Sieger gutwillig und von selbst überlassen hat. - Der Charakter des einwandernden Volks, seine Stärke und Anzahl, so wie die Stärke des bezeigten Widerstandes können hier allein bestimmen, welche von den obigen Behandlungsarten vor der andern gewählt worden. - Völker, die von der Jagd und dem Raube, in Wildnissen, ohne Landeseigenthum, ein irrendes nomadisches Leben führten, waren sehr gefährliche Nachbarn von ruhigen Hirten, oder von denen, in den der Knechtschaft so sehr unterworfenen flachen Gegenden wohnenden Ackersleuten, oder an Flüsse und Meere gränzenden reichen und handelnden Völkern. Die Trägheit jener, ihr Abscheu vor Arbeit, ihr Hang zum nomadischen Leben, die Hofnung eines so nahen reichen Raubes, die Weichlichkeit und Schwäche ihrer Nachbarn reitzten auch dann schon einzelne Stämme zum feindlichen Einfall, wenn gleich in ihren Wohnsitzen ihre Volksmenge noch lange nicht zu übermässig war. - Unter ihnen verbreitete Nachrichten von manchem glücklichen Erfolge, mußten auch andre reizen, freywillig unter einem muthigen Anführer ein Gleiches zu versuchen. Starker gefundener Widerstand mußte ihre Anzahl vermehren; mehrere unabhängige Stämme und Häupter der Familien vereinigen, einem gemeinschaftlichen Anführer zu folgen: sich dieses Landes des Ueberflusses zu bemächtigen. Nun, wenn noch vollends entferntere, im Hintergrunde stehende, weitere Völker, wie eine Welle die andre drückten, so mußten die Vordersten auf Einmal ihre Sitze verlassen, brachen also mit Gewalt ein: theilten die Beute und die Grundstücke unter sich: machten sich die ersten Bewohner unterwürfig: liessen diese für sich arbeiten; hielten ausser den Waffen, jede andre Beschäftigung eines freyen Menschen für zu unwürdig; und nun die alten noch vorhandenen Bewohner, um gegen die Angriffe der Nachbarn gesicherter zu seyn, verband sich jeder sonst unabhängige Landeseigenthümer zum Verteidigungskrieg: erkannte nur in so fern, und nicht weiter einen Anführer und gemeinschaftliches Oberhaupt; und es entstund auf diese Art eine neue Verfassung; ein Volk von unabhängigen Bürgern und Pflanzern. Bey einem solchen Volke mußte <man> freylich noch einmal und neuerdings erfahren, daß die Mittel zur unumschränkten Gewalt, dereinst auch die Werkzeuge zu ihrer Erniedrigung und Abhängigkeit werden, wenn nicht bis dahin durch zunehmende Weichlichkeit der kriegerische Geist und die Disciplin sich vermindern.

Der weise Menschenfreund und Cosmopolit endlich sieht aus diesem noch bevorstehenden Druck und Eroberungsgeiste für die übrige, noch zurückgebliebene Welt, Cultur und Verfeinerung der Sitten, und für die ganze Erde zunehmende Bevölkerung: aus dem Kriege, Ruhe und Frieden; aus der Zerrüttung, Harmonie; aus dem Mangel, Ueberfluß; aus der Finsterniß, Licht; aus dem Druck, Freyheit, aus der Verderbniß, Sitten; und aus der grössesten Ungleichheit, Gleichheit hervorgehen. -

Der Despotismus soll selbst das Mittel seyn, um die Mittelstände verschwinden zu machen, und den Weg zur Freyheit zu erleichtern. - Dieses alles, und noch mehr und noch richtiger, finden weise Geschichtsforscher und Denker in der Grundlage der einwandernden Völker, in der so eingeschränkten Gewalt ihrer ersten Beherrscher.

Sie finden, daß eine so grosse Gewalt im Kriege, eine solche Einschränkung im Frieden, diesen ersten Anführern Abneigung gegen den Frieden, und Vorliebe zum Kriege erwecken mußte. Da aber die Nation sich bloß zum Vertheidigungskriege verbunden, und zu diesem allein gezwungen werden konnte: so blieb nichts übrig, als ihr ihnen näher verbundenes - zu jedem ihrer Winke bereitstehendes Gefolge zu verstärken, um zu neuen Einfällen fertige Mannschaft, um zugleich gegen ihr eigenes so unabhängiges Volk Werkzeuge der Unterdrückung zu haben, um von Aussen und Innen Groß und fürchterlich zu werden. - Wehe der Freyheit des Volks, dessen König übermässige eigene Schätze hat! Umsonst wird seine Gewalt beschränkt, denn er hat die Mittel, sich frey zu kaufen. Dort, wo der Reichthum ist, ist auch die Macht. Niemand giebt, ohne zu nehmen, und der so nimmt, verkauft sich. - Ihr, die ihr dürftig seyd, und in der Tugend noch keine Fertigkeit habt, zittert vor jedem Reichen; in seinem Geldschranke bewahrt er Eure Ketten: er kann, wenn er nur will, der Herr Eurer Ehre und Pflicht, Eurer Tugend und Freyheit werden. In jedem Lande, bey jedem Volke, wo die Ungleichheit der Güter zu übermässig ist, ist es auch um Freyheit, Sittlichkeit und Tugend geschehen. Dort giebt es keine Menschen; dort giebt es einige Despoten und eine Menge von verkauften Knechten. Zum Glück kann niemand allezeit und ewig und allen geben: und darum giebt es auch keine ewige Herrn und ewige Sklaven. Darum liegt es in der Natur, daß Grosse klein, und Kleine groß, daß Reiche arm und Arme reich, daß Mächtige Schwach, und Schwache mächtig werden. Darum ist unsre Geschichte die Geschichte des Wechsels von Armuth und Reichthum, von Macht und Schwäche, von Flor und verblühen der einzelnen Menschen und ganzer Nationen. Darum giebt jeder aufwachender ausländischer Handel einer Nation und Volk nur fiebrische Stärke. Darum besteht wahre Grösse des Landes in den strengen Sitten und eingeschränkten Bedürfnissen seiner Einwohner; und darum müssen Fürsten samt ihren Räthen das nicht einsehen: müssen sich durch die blendende unmittelbare Vortheile des Handels täuschen und in die Irre führen lassen, weil sonst dieses zweckmässige Steigen und Fallen, dieses Aufblühen und Hinwelken ganzer Völker, dieses so wesentliche Mittel zur Verbreitung der Cultur und Bevölkerung gehindert würde; weil der Natur die Mittel fehlten, zu ihrem Zwecke zu gelangen. Dieses allein söhnt den Weisen mit dem Handel aus, mit dem daraus entstehenden Verfall der Sitten, und der Ungleichheit der Güter: und so wird selbst menschliche Thorheit zur Weisheit, und Laster zur Tugend. Und so hatten die ersten Anführer der Wilden Völker, durch den grössern Antheil der Beute und der ihnen zugefallenen Länder, die Mittel in Händen, sich anfänglich der Freyheit der ganzen übrigen Nation zu bemächtigen, sich sodann ihre eigenen Fesseln zu schmieden; dann bald darauf aus der, durch sie selbst verursachten Herrschaft ihren Vasallen zu reissen, sich in ihre heutige Grösse zu versetzen, unumschränkt zu werden, bis dereinst diese Macht, durch ihre eigene Schuld, wieder in andre Hände übergeht, weil mißbrauchte Gewalt sich allzeit selbst zerstört: weil es in der Natur liegt, unvermeidlich ist, jede gegebene Macht zu mißbrauchen. Dieser grössere, aus der, einer so wilden Nation angemessenen Unklugheit, überlassene Antheil der Güter und Grundstücke, setzte diese NamenKönige in Stand, zu geben, und folglich, zu nehmen, und dadurch ihr Gefolge zu verstärken. Nun fingen freye, unabhängige Männer, selbst die wichtigsten des Volkes an, ihre Freyheit und Dienste gegen die auf die Länge der Dienstzeit zugetheilte Grundstücke von Ländern zu verkaufen. Nun traten auch diese, unter ähnlichen Bedingungen, ihren Landesantheil weiter an andre ab. Nun wurden die freyen Männer seltener; häufiger die Dienstleute. Die Grossen hatten ihre Dienste an den König, die übrigen an die Grossen überlassen. Nun verschwand die bisherige Gleichheit und Unabhängigkeit. Die Ungleichheit des Vermögens brachte verschiedene einander untergeordnete Stände der Menschen hervor. Die eigensinnige, zu gebieterische Nationalmiliz wurde nunmehr von den andern, durch den Genuß der Grundstücke, folgsamern, besoldeten Lehnsleuten oder Vasallen verdrängt. Diese Lehen wurden anfänglich nur auf die Dienstzeit, bald darauf, durch verschiedene künstliche Wendungen, auf Lebenszeit, endlich auch auf Erben verliehen, dadurch den Königen mit der Macht zu geben, auch die Macht und Folgsamkeit der Vasallen entzogen: ausser dem Namen und äußerlichen Scheine der Gewalt, ging all ihre Macht und Gewalt auf die Grossen des Reichs über: und nun entstund durch das Lehnssystem das Ende der Democratie, ein schwaches Oberhaupt und eine aristokratische Verfassung. Aus diesen Vasallen entsprang der vorher und diesen Völkern unbekannte hohe und niedrige Adel, die mittelbaren und unmittelbaren Stände eines Reichs. Alle Gewalt war in den Händen des Adels: da mußten nun freylich einige von den Grössesten mit ihren Untervasallen das so äusserst geschwächte königliche Hoch abwerfen: eigene, unabhängige Reiche errichten, und dadurch den vorher mittelbaren Adel zu Ständen des neuen werdenden Reichs erhöhen, bis sie Stärke genug erhalten, dessen zu entbehren, ihre Vorrechte zu vermindern, an diesen zu mißbilligen, wozu sie unter ihrem vorigen Herrn das Beyspiel gegeben hatten.

Wieder andre Grosse fanden es auf keine Art bedenklich unter einem so eingeschränkten Oberhaupte, ihren vorigen Zusammenhang fortzusetzen: glaubten für allezeit stark und gesichert zu seyn; konnten es nicht begreifen, vorhersehen, wie der Gefallene aufstehen, seine Kräfte sammeln könnte, die ihrigen schwächen, sie angreifen und zerstören: schliefen zu sicher auf ihren Lorbeeren: und bedachten zu wenig die Folgen, der, aus ihrem Uebermuth entstandenen Anarchie. Diese Sorglosigkeit und unüberlegte Geringschätzung ihres gedrückten Gegners machten, daß dieser keine Zeiten und Umstände ungenutzt vorbey ließ. Auf diese Art hatt' es in manchen Reichen, in dem Einen früher, in dem Andren später, klugen Königen gelungen, durch Vermehrung ihrer Domainen, durch glückliche Kriege und Erbschaften, durch die Schwäche und Zwietracht ihrer Vasallen, durch heimfällige mit der Krone vereinigte, nicht wieder verliehene Lehen, durch gute Staatswirtschaft, durch Ankauf adeliger, bey verschiedenen Gelegenheiten, besonders zu den Zeiten der Kreuzzüge, in der Hofnung mehrerer Güter im Orient, um ein Geringes feil gebotenen Güter; durch das, nach den Kreuzzügen veranlaßte Aufbauen der Städte, der Gemeinheiten; durch die diesen ertheilte Freyheiten und Unterstützung; durch die Verminderung der Leibeigenschaft, besonders aber durch die eingeführte besoldete Miliz, nach und nach ihre vorige Rechte wieder an sich zu reissen; die Lehensmiliz und Beyhülfe ihrer Stände zu entbehren, dem stolzen Adel die Stirne zu bieten, seine, während ihrer Unvermögenheit über alle Maaß und Gränzen erweiterte Freyheit und Gerichtsbarkeit zu vermindern; und ihn sogar noch über seine Gränzen und erste Bestimmung zurückzuführen, durch übermässige Vermehrung der Edelleute, lächerlich und verächtlich zu machen, und durch Ertheilung der Kriegs- Hof- und Civil-Aemter an Unadeliche, ihren Einfluß auf die Staatsverwaltung, und eben dadurch ihren Anhang zu vermindern, und ausser alle Wirksamkeit zu setzen; und endlich auch durch Primogenituren und Ritterorden den Coelibat, und durch den Luxus der Höfe die Schuldenlast, schädliche Veräusserung der Güter, Debausche und den Tod selbst zu befördern.

Freylich ist das nicht allezeit ausdrücklich gedachter Zweck; freylich herrscht nicht an jedem Hofe in Europa gleiche Freyheit in Erwählung der Mittel: freylich ist in manchen Ländern das Uebergewicht des Adels und der Stände noch nicht merklich vermindert: doch ist alles so eben angeführte, sichres, unfehlbares Mittel, um dahin zu gelangen; und die Erfahrung ist Bürge dafür, daß man schon von langen Zeiten her, wo nicht aus Absicht, doch wenigstens durch die Nothwendigkeit getrieben, wirklich dazu schreite, früher oder später noch dazu schreiten werde. Natur und Nothwendigkeit kommen freylich der Klugheit der Menschen gar oft zuvor oder zu Hülfe. Aber, was thut das zur Sache, wenn die Wirkung kommt, ob Absicht oder Bedürfniß solche herbeyführen. Allezeit bleibt doch der Satz erwiesen, daß der Gang der Natur und der Königreiche, hier früher, dort später, da hinaus führe, daß jeder Mensch, Fürsten und Könige um so mehr alle Schranken ihrer Kraft verabscheuen, und daß jede ständische Gewalt unangenehme Beschränkung, daß ihre Verminderung eine, jedem Monarchen willkommene Erscheinung und Begebenheit sey. Mit dem Ursprung der stehenden Armeen fängt die Lebensverbindung an, in manchen Reichen samt der darauf gebauten ständischen Gewalt, gänzlich zu verschwinden, und die Lehen selbst ihre Bedeutung zu verlieren. Hätten die Ottonen in Deutschland samt den folgenden Kaysern nicht sogleich ihre angestammte Herzogthümer weiter verliehen, sich weniger in die italiänischen Händel gemischt, und mit den Päbsten friedlicher gelebt, so wäre Deutschland schon längstens ein absolutes erbliches Reich, und die Gewalt der Stände hätte ihre Erbschaft erreicht; so, wie es wirklich, nachdem die Kayser eigene grosse Erbländer besitzen, und, ohne Wirkung durch Eide und Capitulationen beschränkt werden, durch das täglich zunehmende Uebergewicht, und den stärkern Einfluß seines Oberhaupts, durch die, in eben dem Verhältniß zu nehmende Schwäche, Uneinigkeit, Abhängigkeit und Unvermögenheit seiner Stände von seiner aristokratischen Verfassung ab, und zur monarchischen unaufhaltbar hinübergeht; anbey zum unvermeidlichen Raube Eines oder mehrerer Stärkern bestimmt ist, wenn nicht inzwischen aus seinem Schosse eine Mittelmacht entsteht, die sich zwischen die Mitwerber stellt, die schwächern Stände unter ihre Flügel nimmt, und auf diese Art noch auf einige Zeit den schwer zu vermeidenden Untergang der deutschen Reichsverfassung verzögert.

Auf diese Art gründet sich noch Heut zu Tage jede dermalige Volksverfassung in der ersten Entstehung dieses Volks, in der ersten Anlage, in den Bedürfnissen, Schicksalen und Hindernissen, die es erfahren: in den, seiner seiner Vermehrung günstigen oder widrigen Umständen. Es kommt darauf an, ob die ersten Stammväter dieses Volks Jäger, oder Hirten, Ackersleute oder Handelsleute gewesen: ob sie noch rein und ursprünglich: mit welchen Völkern und wie oft sie vermischt worden. Von dort muß jede ächte philosophische Landesgeschichte ausgehen, und die Quelle erforschen. Dort hat sich dieser Grund geleget, auf welchem das nachfolgende Staatsgebäude errichtet worden: sie muß aufspüren, wie sich das Eine aus dem Andern entwickelt; denn in der Entstehung eines Volks ist fast schon meistens sein ganzes Schicksal enthalten. Und ein solcher Geschichtsforscher allein wird den wahren Werth und künftigen Erfolg, das Hinderniß oder das Zweckmässige jeder getroffenen oder noch zu treffenden Anstalt, sammt der Dauer und dem Untergange seines Vaterlandes bestimmen. Aus diesem allein und noch mehrern, das jeder Denker hinzu denken kann, sind unsre heutigen Völker, Sitten und Gebräuche entstanden; und wer dieses alles genau beobachtet, wird das Primitive von dem spätern Zusatze, und aller folgenden Abstuffungen genau unterscheiden. Er wird auch finden, daß jedes Volk eben dort den höchsten Grad der gemeinen Cultur gehabt, wo es zugleich am zahlreichsten gewesen. Er wird Völker finden, bey welchen dieser Zustand vorüber ist, welche verblühen, welche sich noch wirklich darin befinden, welche diese Reihe noch treffen soll. Es ist sogar möglich, durch fortgesetzte scharfe Beobachtungen aus dem bisherigen Gange der Natur, ihren künftigen zu bestimmen, so gar das Gesetz und die Regel zu finden, nach welchen sie arbeitet, und noch weiter fortschreiten wird.

Du mußt also erforschen, einsehen lernen, dich in dieser Einsicht üben: welche Folgen sind durch jede gegebene Begebenheit veranlasset worden? In welchem Verhältnisse steht solche mit der Vermehrung und gemeinen Cultur des ganzen Geschlechts? Wohin führt sie? Was ist Heut zu Tage noch sichtbare Folge davon? In wie ferne wirken noch tausendjährige Begebenheiten und Einrichtungen der ältesten auf die heutige Welt? Welches sind, unter beyden Extremen, die Mittelstuffen? Was werden sie noch in der Zukunft veranlassen? Wie haben sie sich modificirt? Welche Gestallt war ihnen am günstigsten? Welcher weitern Modificationen, Abänderungen, Zusätze und Einschränkungen sind sie noch weiter fähig? Welche ist der heutigen Welt am angemessensten? Was muß noch vorhergehen, um diese Idee, Meynung geläufiger zu machen? Durch welches Bedürfniß können die Menschen darauf aufmerksamer gemacht werden? Welche Meynungen schlummern, sozusagen, nur? Wirken aber doch im Verborgenen und im Hinterhalt, lauren dort nur auf eine neue erweckende Ursach? Welchen Vortheil oder Schaden wird sodann dieser Theil der Welt davon haben? Wie verhält sich dieser Vortheil, dieser Schaden zur Totalsumme menschlicher Glückseligkeit, zum Wohl des Ganzen?

Wenn die so sehr verschrieene Kreuzzüge die Quelle von dem europäischen Handel sind, von der Pracht der Höfe, von der Vermindrung des Adels und von dem Aufblühen der Königlichen Macht, vom Aufblühen der italiänischen und deutschen Städte, vom alten Flor des mittäglichen Deutschlands, und vom hanseatischen Bunde, von der Verminderung der Leibeigenschaft, vom Entstehen mancher Ritterorden, und von der Verfeinerung der Sitten; Wenn nun weiter die Kreuzzüge, durch die, gegen das Ende des Zehnden Jahrhunderts wieder aufblühende Lehre, vom tausendjährigen Reiche und vom nahen Ende der Erde, und durch die vorgeblichen Bedrückungen der Pilgrimme im Orient veranlasset worden: Wenn denn weiter diese Ideen vom nahen Ende der Welt, erweislichermaassen, diluvianisch ist, und aus ihr die Lehre vom tausendjährigen entstanden, so muß es ja doch so lächerlich nicht seyn, zu behaupten, daß diese Lehre vom tausendjährigen Reiche die entfernte Ursache von dem, durch die Kreuzzüge gewirkten, Folgerungen gewesen; als da sind: der sich emporhebende europäische Handel um diese Zeit, die vermehrte Pracht der Höfe, die Verminderung des Adels, das Aufblühen der königlichen Macht, mit jenem der italiänischen und deutschen Städte, der hanseatische Bund, die Verminderung der Leibeigenschaft, das Entstehen so mancher Ritterorden und so weiter; es muß also doch so lächerlich nicht seyn, zu behaupten, daß vielleicht kein Mensch in Europa sey, der, wenn er seine dermalige und vorhergehende Lage erforschen will, nicht finden sollte, daß Kreuzzüge und die Lehre vom tausendjährigen Reiche und vom nahen Ende der Welt, daß diluvianische Ideen und Schrecken seinen heutigen Zustand bestimmen, die entfernte und letzte Quelle seiner Freuden und Leiden sind. Oder ist denn die entfernte Ursach nicht auch eine Ursach? Wozu sollte wohl sodann Adam unser Vater? Seine Schuld die unsrige seyn? Haben die Begebenheiten der Welt nicht so gut als Menschen ihre Aeltern und Geschlechter? Wenn das Eine so lächerlich ist, warum nicht auch das Andre? Lachet doch wenigstens über beyde, oder lachet über keins. Wenn aber dem also ist, so ist auf dieser sublunarischen Erde nichts Klein; Nichts, was nicht mit in das Grosse der Welt eingeflochten wäre; Nichts, was sich davon trennen liesse, ohne das Ganze zu trennen. Es muß also doch wohl der Mühe werth seyn, zu erforschen, wie das Eine sich in dem Andern gründe, aus dem Andern entstehe, das Weitere herbeyführe.

Erst alsdann, wenn Du den Gang des Ganzen, das Verhältniß seiner Theile ergründet hast, wirst Du im Stande seyn, einzusehen, was Du, was dein Landstrich zu erwarten haben: was für diese beyde dauerhaftes, bleibendes Gut sey. Du wirst sehen, daß sich Familien und Völker selbst zerstören, wo sie an ihrer Erhöhung arbeiten: daß ihr dermaliger höchster Flor zugleich der nächste unbetrüglichste Vorbote von ihrem Verfalle sey. Du wirst sehen, wie die Wage hier sinkt, um dort zu steigen: wie das Untergehen des Einen, Aufheben des Andern ist; wirst entdecken, daß dieses Steigen und Fallen wesentliches Mittel zur Aufnahme des Ganzen, zur Vervollkommnung des Geschlechts sey; wirst finden, daß all dieser Wechsel planmässig geschehe: daß die Natur in der politischen und moralischen Welt, so, wie in der Physischen, nach einerley Gesetzen wircke, daß sie beyde Veränderungen durch einerley Kraft hervorbringe: wirst finden, daß sich Alles in Allem gründe: daß sich jede Periode an eine vorhergehende anschliesse; Folge von dieser sey, durch sie herbeygeführt worden; so, wie am Ende dieses nämliche lebende Zeitalter Quelle und Vorbereitung aller künftigen wird. Je mehrere und allgemeinere Verhältnisse Du entdecken wirst, je richtiger wirst Du urtheilen. Nur in so ferne die Natur für das Ganze besorgt ist, sorgt sie für die Theile. Alle Theile sind Mittel nicht Zweck. Sie erlaubt jedem nur Eine und diejenige Rolle zu spielen, welche diesem zuträglich sich findet. Erfordert dieses Dein - und deines Vaterlandes Umsturz, so werden auch keine Klugheit und Ränke, keine Vorsorgen und Anstallten, keine Macht und kein Flehen, keine Verträge und Bündnisse retten. Eben diese Anstallten und dieses All werden Euren bestimmten zweckmässigen Untergang beschleunigen; sie sind mit in der grossen Reihe der Folgen und Ursachen, als Ursachen Eures Untergangs, nicht aber als Rettungsmittel eingeflochten. Kein Reich der Vorwelt hat ewig gedauert. Die Reiche der heutigen Welt sind einem ähnlichen Schicksal unterworfen. So, wie alles, was unter der Sonne ist, veränderlich ist, verändern auch sie sich, um ihrem Zweck, ihrer Bestimmung näher zu rücken. Jede menschliche Einrichtung führt zugleich bey ihrer Entstehung den Keim ihrer Zerstörung mit sich. Der erste Schritt ins Leben, ist der erste Schritt zum Tode, und vielleicht ist der Tod wieder Fortschreiten zum Leben. - O, wenn Du einer von Uns bist, so mußt du wissen, wo die politische und moralische Welt dermalen stehe. Aus dem Wege, den sie bereits zurückgelegt, aus der Stellung der übrigen Theile, so um uns sind, mußt Du vermuthen können, welcher Weg noch zu hinterlegen, und welche Rolle zu spielen uns von der Vorsicht bestimmt sey.

Jede einzelne auch kleinste Weltbegebenheit ist der Abdruck und der Spiegel der vergangenen, der Gegenwärtigen und künftigen Zeit. Gott siehet Alles in Allem, Alles in jedem Einzelnen; und der eingeschränkte Mensch nur soviel, als er hienieden bedarf. Wenn also Du eingeschränktes Wesen gleich nicht alles entdeckest, so sieh, was Dir gegeben ist, zu sehen, und erhebe Dich über den Haufen. Du mußt als ein Weiser in der Verlegung des Kayserlichen Sitzes von Rom nach Constantinopel etwas mehr, als blosse Verändrung des Orts: In der Entdeckung von Amerika mehr, als blosse Vereinigung zweyer sich fremder Halbkugeln erblicken. Diese grossen Begebenheiten, so, wie alle übrige Geringern, sind Veränderungen, wovon die Erschütterung in allen Theilen der Erde, noch in der entferntesten Zukunft gefühlt wird.

- Welches waren nun die nächsten Folgen dieser grossen Begebenheiten? Wie ist aus dieser Veränderung des kayserlichen Hoflagers das deutsche Kayserthum entstanden? Wie ist zum Theil aus den deutschen Wäldern die weltliche Grösse des Pabstthums hervorgekommen? Du wirst finden, wie in diesem grossen ungeheuren Gewölbe der Weltbegebenheiten, ein Stein auf den andern drückt, und durch diesen wechselseitigen Druck sich das ganze Gebäude erhält. Wie aus dem kleinen Schneflocken aus dieser unbedeutendsten Begebenheit, wenn Zeit und Natur ihn vom hohen Felsen losreissen, wie im Herunterfallen und Fortwälzen, aus ihm die erschreckliche Masse sich formirt, welche Thäler verschüttet, und Welttheile erschüttert. - Durch Auflösung solcher und ähnlicher Aufgaben, wirst Du finden, wie in der grossen Weltmaschine ein Rad das andre greife, nichts sich hindre; wie Hindernisse vielmehr die Sache befördern. Um die Zukunft gehörig vorherzusehen, müssen auch, so viel möglich, alle noch zu machende Entdeckungen mit in Anschlag gebracht werden. Es kann deren noch geben, welche ganzen Welttheilen, dem ganzen Geschlechte eine andre Richtung geben. Die Erfindung der Schrift, der Magnetnadel, des Pulvers, der Buchdruckerey, die Entdeckung von Amerika, waren schon solche viel wirkende, schwer vorher zu sehende Erscheinungen. Es kann deren noch mehrere geben. Die Natur und die Kräfte der Menschen sind noch lange nicht erschöpft. Viele Dinge scheinen uns dermalen noch unmöglich, weil die noch vorher nöthige vorbereitete Mittelerfindungen fehlen. Auch diese mußt Du mit in den Plan aufnehmen, mußt denken, welche Felder stehen dem ErfindungsGeiste der Menschen noch leer? Erforsche ihre Erwartungen, ihre dringendsten Bedürfnisse, und du kannst vielleicht vorhersehen, welche Strasse die entsetzliche Wirksamkeit des menschlichen Geistes einschlagen wird. Jede solche Aufgabe, wenn sie auch unmöglich und lächerlich schiene, wird dich neue Verhältnisse, neuen Zusammenhang der Dinge lehren. Wie, wenn die Menschen, so wie sie die See durchschiffen, auch die Luft durchstreifen könnten? Welche Folge brächte das in die Sittlichkeit der Menschen, im Handel, in der Staats-Kriegskunst, Schiffarth hervor? Welche bisherige Anstallten würden dadurch überflüssig? schädlich? Welche neue würden entstehen? Welche Menschenklasse würde dabey am meisten gewinnen? Welche verlieren? Welche allgemeine Gährung würde das verursachen? Welche neue Bedürfnisse würde jeder Stand dadurch fühlen? Welche Mittel würde die Schlauheit der Menschen erfinden, um solchen abzuhelfen? - Oder, wie, wenn der Anbau der Brodfrucht in Europa gedeihen, und allgemein werden sollte?

Freylich hat man über das, was wirklich geschiehet, schon so vieles zu denken, daß es beynahe toll und unnöthig ist, sich über ungewisse, zweifelhafte Dinge den Kopf zu zerbrechen; freylich läuft man dabey Gefahr, aus Mangel richtiger und richtiger Uebersicht aller mit unter laufenden Umstände, eine Menge falscher Schlüsse zu machen; aber doch vernachlässige diese Uebung nicht, im Mangel einer bessern Beschäftigung. Du lernst doch dadurch eine Menge neuer Verhältnisse kennen; überzeugst dich dadurch immer näher von der seligsten aller Lehren, von dem Zusammenhange und der Güte der Welt. Lernst doch einzusehen, was eben darum ist, weil Menschen die Luft nicht durchschiffen, weil kein Brodfruchtbaum gepflanzt wird: und mit andern Worten heißt die Frage im Grunde so viel: welches sind die Folgen des Getreidebaues? Und, wenn auch eine Menge falscher Schlüsse mit dabei unterläuft, was liegt daran? Sind denn Menschen jemals zur Wahrheit gelangt, ohne vorher alle damit verwandte Irrthümer zu durchlaufen? - Oder, wenn Du das nicht willst; wäre nicht im dreyzehnden oder vierzehnden Jahrhundert die Aufgabe von der Entdeckung eines neuen Welttheils, in den Augen der Zeitgenossen eine lächerliche, rasend scheinende Aufgabe gewesen? Nun haben sie statt der Menschen, Natur und Geschichte auf eine unnachahmliche Art beantwortet. Und, wenn Dir auch dieses nicht gefällt, nimm statt dessen eine Aufgabe über eine Thatsache: durch welche Veranlassungen sind nach und nach grosse stehende disciplinirte Armeen entstanden? Wie ferne haben solche unsre Staatsverfassung geändert? Welche fernere Anstallten wird ihr Unterhalt nothwendig machen? Werden sie allezeit seyn? Welche Umstände, welches Bedürfniß könnte ihren Untergang verursachen? Wie wird dieses Bedürfniß erweckt und herbeygeführt werden? Was wird sodann dieses unter Völkern, in der Sittlichkeit, in der Staatsverfassung für Folgen hervorbringen? Welches Leere wird diese Aufhebung verursachen? Durch was wird diese Lücke ersetzt werden?

Solche Aufgaben entwöhnen den Menschen von dem unphilosophischen Wahne, als ob Alles, was heute ist, allezeit gewesen wäre; allezeit und in Ewigkeit seyn müßte: sie belehren, daß Alles ein Kind der Zeit und der Umstände sey: sie führen uns auf den Grund der Entstehung der Dinge: sie unterrichten uns, daß, wie sich dieser Grund verändert, auch alles darauf Gegründete sich in eben dem Maasse ändre, oder verändre: sie veranlassen die Fertigkeit, eine Menge von Begebenheiten mit Einem Blicke zu überschauen, die entferntesten Folgen vorher zu sehen: sie unterrichten uns auch, alles Uebel bey seiner Wurzel anzufassen, nicht den schädlichen Hauptstamm stehen zu lassen; bloß allein einige Aeste abzuhauen: sie zeigen die Kunst, seine Absichten und Plane zu maskiren, Feinde und Gegner durch seine Operationen in die Ferne zu führen: sie beweisen endlich, daß nicht jeder unmittelbare Vortheil wahrer Nutzen, so, wie jeder unmittelbare Nachtheil wahrer Schaden sey; sondern beydes erst durch die entferntern Folgen sind.

Dieses Untersuchen, dieses Forschen in dem allgemeinen Zusammenhange der Dinge, wird deine Begierden ordnen; wird dich mit der Welt aussöhnen, die Quellen deines Vergnügens und deiner Glückseligkeit vermehren, deine Schmerzen vermindern, das Schwarze der Einbildungskraft verscheuchen: es wird dich überzeugen, daß alles moralisch Gute und Böse sich nach dem Standorte richten, aus welchem man die Welt überschauet: daß die engern Interesse die Quelle vom moralischen Bösen sind, und in Rücksicht auf das Ganze nichts Bös, alles gut, alles Harmonie und Ordnung sey: daß ein weiser Mann sich bemühen müsse, alle Gegenstände nach dieser allgemeinsten Beziehung zu beurtheilen: daß in Ermangelung dessen, bey der Unvermögenheit, in das Allgemeine zu blicken, dem schwächern Theile der Menschen, zur Beurtheilung aller Vorfälle, folgende Grundsätze dienen, um sich am wenigsten zu irren:

Alles, was Menschen trennt, mißtrauisch und abergläubisch, feig und unthätig macht; was die Ungleichheit der Güter befördert, und Bevölkerung hindert, ist verderbliches politisches Mittel, sollte es auch unsrer Macht und unsern Wünschen noch so sehr schmeicheln. Dieses alles ist von keiner Dauer, wird sich darauf selbst bestrafen, weil es dem Gange der Natur entgegen ist. Alles, im Gegentheile, was Menschen einander näher bringt, sie klüger, feiner, geselliger, muthiger, zufriedener, arbeitsamer und unabhängiger macht; was die zu grosse Ungleichheit der Güter zernichtet, und die Bevölkerung befördert, ist ganz allein wahre, dauerhafte, von Gott geheiligte Politik; ertheilt auch zugleich dauerhafte Macht, weil es die Natur zum Freunde und Bundesgenossen hat, gegen welche alle Hindernisse der Welt nichts vermögen. Darum sind aber auch alle Hindernisse und Absichten boshafter und eigennütziger Menschen nicht minder nothwendig und wesentlich, weil sie im Grunde nicht hindern, sondern wirklich befördern, weil sie Bedürfnisse erwecken, weil durch sie das Reiben der Kräfte, Leben und Feuer in die Maschine gebracht, und Handlungen veranlasset werden. Und am Ende muß es sich zeigen, daß es in dieser Welt zweckmässige Bosheit, so, wie zweckmässige Tugend gebe.

Du aber freue Dich, daß Dich die Vorsicht auf die gute Seite gestellt hat.

 

 

 

 

 

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